Es ist wie es ist – Gefühle neutral bewerten

Am Strand des Meeres wohnten drei alte Mönche. Sie waren so weise und fromm, dass an jedem Tag ein kleines Wunder für sie geschah. Wenn sie nämlich morgens ihre Andacht verrichtet hatten und zum Bad ins Meer gingen, hängten sie ihre Mäntel einfach in den Wind. Und die Mäntel blieben im Wind schweben, bis die Mönche wiederkamen, um sie zu holen.

Eines Tages, als sie sich wieder in den Wellen erfrischten, sahen sie einen grossen Seeadler über das Meer fliegen. Plötzlich stiess er auf das Wasser herunter und als er sich wieder erhob, hielt er einen zappelnden Fisch im Schnabel.

Einer der Mönche sagte: „Böser Vogel.“ Da fiel sein Mantel aus dem Wind zur Erde nieder, wo er liegen blieb.

Der zweite Mönch sagte: “ Du armer Fisch.“ Und auch sein Mantel löste sich und fiel auf die Erde.

Der dritte Mönch sah dem enteilenden Vogel nach, der den Fisch im Schnabel trug. Er sah ihn kleiner und kleiner werden und endlich im Morgenlicht verschwinden. Der Mönch schwieg. Sein Mantel blieb im Wind hängen.

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Wir Menschen sind echt gut darin alles und jeden sofort zu bewerten. Wir bewerten Ereignisse und Personen, unsere Gedanken und Gefühle und alles was wir in uns und um uns herum wahrnehmen. Ohne unsere Gedanken zu hinterfragen, nehmen wir sie als gegeben hin und lassen uns täuschen, verwirren und einschüchtern. Vor allem auch dann, wenn es um unsere eigene Person geht.

Wie wärs stattdessen, wenn wir beginnen, zu beobachten was wirklich ist, statt voreilig und meist unbewusst Bewertungen abzugeben?

Wie wärs, wenn wir unsere Emotionen einfach geschehen lassen, indem wir in Gedanken genau und auch sachlich benennen, was wir in diesem Moment fühlen, statt uns von unseren Gefühlen vereinnahmen und wegschwemmen zu lassen?

Gerade bei Angst-und Panikgefühlen tun wir uns einen grossen Gefallen, wenn wir versuchen neutral zu beschreiben, was eigentlich gerade mit uns passiert.

Dann wird aus:

„Oh mein Gott, jetzt geht das schon wieder los das darf nicht sein was mache ich denn jetzt ich muss etwas trinken mich bewegen muss mich ablenken o nein o nein o nein ich halte das nicht aus was soll ich nur tun ich dreh durch…!“

ein:…

Mein Atem ist flach.

Jetzt ist mein Mund trocken.

Mein Herzschlag geht schnell.

Ich spüre ein Kribbeln in meinen Händen.

Da sind Gefühle der Unsicherheit.

Und jetzt kommen Gefühle der Panik in mir auf.

In manchen Situationen ist das leichter gesagt als getan. Wir sind sehr schnell mittendrin in unseren Emotionen oder beurteilen die Dinge ganz automatisch aufgrund der persönlichen Erfahrungen, die wir damit gemacht haben.

Ich beispielsweise, fühle mich sehr oft verloren, wenn ich ausserhalb meiner Sicherheitszone unterwegs bin. Dank meinen „Mutproben“ und auch meinem Willen, konnte und kann ich diese Zone Stück für Stück erweitern. Das Gefühl der Verlorenheit bleibt aber bei jeder neuen Herausforderung und bei jedem Hinaus-Wagen dasselbe. Wer dieses Gefühl kennt, weiss, wie schwierig es ist, neutral und sachlich darauf einzugehen. Trotzdem versuche ich jedes Mal genau das zu tun. Und auch wenn ich mir diese innere Sicherheit (noch) nicht selber geben kann, habe ich durch die neutrale Bewertung meiner Emotionen ein hilfreiches Werkzeug zur Hand, mich nicht so  schnell in meinen Gefühlen zu verlieren.

Hinzu kommt, dass wir nicht gelernt haben, eigene Gefühle mit einem gewissen Abstand zu betrachten. Niemand hat uns gelehrt, wie Gefühle eigentlich entstehen und dass sie hauptsächlich ein Produkt unserer Gedanken sind. Oder hast Du schon einmal gehört wie Mutter oder Vater zu ihrem Nachwuchs sagen: „Schau Florian, die Wutgefühle, die du jetzt in deinem Bauch spürst, sind entstanden, weil du ganz ganz dringend die Schaufel von dem Emilio haben möchtest. Das ist eine ganz normale Reaktion deines Körpers und kein Grund, dem Emilio jetzt eins über die Rübe zu geben.“

Hast Du? Also ich nicht. Im Gegenteil. Die meisten von uns haben gelernt, dass es nicht angebracht ist, wütende, ängstliche oder traurige Gefühle offen zu zeigen. Wir wurden vorher ausgebremst. Und so bekamen wir auch nicht die Möglichkeit, eine Emotion von Anfang bis Schluss bewusst zu durchleben und einen Weg zu finden, angemessen damit umzugehen.

Glücklicherweise haben wir immer und jederzeit die Wahl, wie wir weitergehen wollen. Wir brauchen nicht länger an alten Geschichten festzukleben, nur weil wir es nicht anders kennen. Wenn wir uns in schwierigen Situationen daran erinnern, dass wir auch unsere Emotionen, Gedanken und die Dinge um uns herum einfach beobachten können, ohne unmittelbar darauf einzugehen, so ist es sehr wohl möglich, dass auch unser Mantel leicht und ruhig im Wind hängen bleibt.

Und denk daran: Es ist wie es ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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